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  • Kommentar zu „den mund von schlehen bitter“

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    Otto Lakmaier
    Vorwort aus der Neuauflage 2011

     

    den mund von schlehen bitter

    Ob es Texte gibt, die irgendetwas verändern? Ohne die unsere reiche Welt ärmer wäre als sie es mit ihnen ist? Und ob! Hier zum Beispiel geht es um solche. Und wir haben Glück, dass der von Schlehen so bittere Mund sie uns doch nicht verschweigt.

    Fünfzig Jahre, nein, heuer schon einundfünfzig, ist es nun her, dass dieser Mund erstmals gedruckt zu Wort kam.

    Für mich war der 1960 bei Otto Müller erschienene Gedichtband „den mund von schlehen bitter“ von Conny Hannes Meyer vom ersten Tag an Ergebnis und Denkmal eines trotzigen, geradezu aufsässigen Gestaltungswillens; und das mitten in den Jahren von Österreichs nach-staatsvertraglicher, seichter Wachstumsgier und proporzgefügigen Auf-der-Stelle-Getretes, samt all seiner diskursiven und musischen Dürftigkeit, worüber sich immerhin Bronner, Qualtinger & Co bis 1960 auf hohem Niveau standhaft belustigt haben. Also zwar schon kurz nach der Halbstarkenwelle, aber eben noch vor den großen Impulsen der Sechziger, dem ersten Ostermarsch etwa oder dem ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess, beide 1963, erst recht lange vor achtundsechzig.

    Mir jedenfalls waren Connys Schlehen-Texte auf Jahre hin Anstoß dazu, bestimmte gesellschaftliche Zusammenhänge kritischer als bis dahin zu sehen, sogar manche eigene Lebensschritte wählerischer zu setzen als dies ohne ihren bohrenden Schrei erfolgt wäre.

    Ihr Sprachduktus insgesamt lässt keine Verschnaufpause zu, vibriert und beunruhigt Zeile für Zeile. Seit längerem fast verschollene, zum Teil auch ganz neue Ausdrucksverfahren blinken aus diesen Seiten in irritierendem Glanz. Chronisch unterbelichtete, daher kaum wahrgenommene semantische Echoräume werden als gleichsam herrenlose Spielräume hellhörig aufgespürt und zügig besiedelt.

    Häufig werden die Wörter nicht in ihrer hauptsächlich gängigen, sondern in einer weniger gewohnten, aber durchaus geläufigen Bedeutung gebraucht, was Leser und Hörer oft überrascht, zuweilen schockiert aufhorchen lässt.

    Viele Sätze enden erschreckend anders, als ihr Beginn hätte erwarten lassen. Wenn so ein Satz einmal läuft, ist er nicht mehr zu halten. Ohne Rücksicht auf Konventionen oder Erwartungen steuert er sein haltverweigerndes Ziel an. Wo man ihn für zu Ende hält, geht er in unerwarteter Richtung weiter. Wo man seinen Ausgang zu ahnen glaubt, bricht er vorzeitig ab. Wo man vorschnell auf eine Lösung hofft, bleibt sie aus. Stattdessen tritt eine neue Bedrohung hinzu.

    Der Einsatz auch gröberer Stilmittel, so der Verzicht auf Großschreibung und Interpunktion verstärkt – vielleicht schwächer als beabsichtigt – den Zwang zu ständiger Wachsamkeit gegenüber abgenützten Mustern, nicht gleich erkennbaren Sackgassen und voreiligen Schlüssen.

    Rauch, Blut und Nebel, Brot, Gott, Öfen und Sand, Tränen und Weiden, überhaupt Bäume, oft Buchen, nie Eichen, die Farben weiß und rot, viel Verwandlung, Nachruf und Vorahnung, zunehmend, allmählich, manchmal, schon und noch, und immer wieder Variationen von Gold und Asche.

    Ja, Gold und Asche! Aber gerade die Nähe zu Paul Celan, die auch Gerhard Fritsch im Nachwort zur ersten Ausgabe vermerkt, wird nicht überspielt, vielmehr durchaus betont. Ich erinnere mich, wie Conny jedem, den er nur irgendwie für empfänglich hielt, Celans „Todesfuge“ vorrezitierte und auf die Wirkung gespannt war. Die Shoah-Thematik war ja erst in Ansätzen rezipiert, für nicht wenige gänzlich neu.

    Der Band folgt – damals wie diesmal – eher zwanglos drei Wegweisern:

    Der erste, „die sterne der menschen sind zählbar“, konfrontiert uns mit Verletzlichkeit und Begrenztheit aller diesseitigen Entwürfe und Schritte. Der zweite, „hinunter den weg nach gommorrha“, führt zu Schau und Reflexion des Grauens der Shoah, aber auch in die Euphorik überlebender Heimkehrer ins neue erez Israel. Wer dem dritten der Wegweiser folgt, hin auf Schauplätze „inmitten vermummter engel“, begegnet Individuen wie nach der Flut: anscheinend geläutert, aber merkwürdig und bleibend verhalten, zwar voll Ahnung und Sehnsucht, fast ähnlich denen im ersten Teil, nur wie durch tieferes Verstehen geschwächt.

    Gerhard Fritsch ist wohl zuzustimmen, wenn er das Wesentliche der Schlehen-Texte weniger in ihrer formalen Kontur als in einer Art geistigen Melodie wahrnimmt, die gleichermaßen aus Formalem wie aus Inhaltlichem lebt, die alle verbalen Einzelstriche durchdringt und umgibt; einer Gesamtmelodie, die – mehr noch als ihre einzelnen oder listig gruppierten Wörter – als eigenständige Botschaft besticht. Erst in dieser Melodie vorgebracht, so Fritsch, sei die „sinnlose Welt des Surrealismus mit ihren überdeutlichen Erlebnis- und Alptraumfetzen im Begriff, sich zu einer neuen und deutbaren Wirklichkeit zu verwandeln“.

    Und in der Tat: Die Texte erschließen sich erst voll im bewegten Vortrag, in klingender Pantomime, wie ebenfalls Gerhard Fritsch angemerkt hat.

    Und wie wahr es doch bleibt: Wer von diesem Gedichtband spricht, kann von „Trommeln und Disteln“ nicht schweigen. Was der von Schlehen so bittere Mund dem Leser im Lehnstuhl unter Stehlampenlicht auch offenbart, in „Trommeln und Disteln“ wurde die Botschaft Ereignis. „TuD“ war ein Nummernprogramm, in dem die kleine Gruppe um Conny, schon damals unter dem Namen „Die Komödianten“, seine Schlehen-Texte – nicht alle, doch viele davon – mit sorgsam gewählten Ton- und Lichtreizen kontrastiert, expressiv vortrug und körperlich darstellte; ein Programm, mit dem das Ensemble, oft hungernd, durch ebenso illustre wie armselige Spielorte sowie durch zahlreiche Wiener Schulturnsäle zog. Und das meist junge Publikum vergaß auf Atem und Lidschluss …

    Mir unvergesslich zum Beispiel Ilse Scheers punktgenaues Sinkenlassen zuerst des Zeigefingers, dann der Hand aus aufrecht erhobenem Unterarm bei den Worten „nur die Blumen hingen noch in den Vasen“  –  leise und messerscharf in die Stille gesprochen, wie ganz nah mir am Ohr …

    Es werden nicht mehr viele sein, die sich noch an diesen stockenden Atem und das verstörende Knistern beim Erleben einer „TuD“-Szene erinnern.

    Fünfzig Jahre also, nein einundfünfzig, und Conny Hannes Meyer verlässt sein achtes Jahrzehnt, betritt sein neuntes.

    Herzlichen Glückwunsch dem Autor und lebhaften Dank dem Verlag „Bibliothek der Provinz“, der diese Texte einer inzwischen übernächsten Generation neu zugänglich macht; wenn auch nicht als Ereignis, das ohnehin nicht mehr erweckbar ist, so doch als ferne Ahnung, wenn einer der immer weniger werdenden Zeitzeugen wenigstens anhand der Lesebeispiele mit tonloser Wehmut den Enkeln erzählt, was „Trommeln und Disteln“ auf Basis der Schlehen-Gedichte doch für ein Wurf war. Ach ja!

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