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  • Karl ist krank – Kommentar

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    Karl ist krank

    war das geheime Codewort, die bewaffneten Einheiten des sozialdemokratischen Schutzbundes als auch die dazu bereiten Arbeiter zum Überlebenskampf gegen die austro-faschistische Heimwehr aufzurufen. Die Szenenfolge zeigt Ereignisse, die zum Ende der Republik, zum Ständestaat und zum gewaltsamen Anschluss Österreichs an Hitlers Großdeutschland führten.

    Zur Uraufführung im Theater der Komödianten im Wiener Künstlerhaus

    Anlässlich des wiederkehrenden Gedenktages der Ereignisse des 12. Februar 1934 im Jahre 1984, wollte ich die dramatische Geschichte der Zerstörung der 1. Republik in einem epischen Schauspiel einem breiten Publikum nahebringen. Die Aufführung sollte in einer großen Halle, am besten in der damals eben neu adaptierten Remise in Wien stattfinden. Die einzelnen Szenen sollten auf einsichtigen Waggons herein gefahren werden, also den traditionellen Thespiskarren wieder in Bewegung bringen, da er als Transportmittel der Fabel besonders geeignet zu sein schien.
    Nicht nur die sogenannte Hirtenberger Waffenschmuggelaffäre, auch der Eisenbahnerstreik, die geheimen Waffentransporte der verschiedenen politischen Lager, die verbotenen Zusammenkünfte illegaler Gruppen, auch symbolisch die gegeneinander fahrenden Ideologiezüge, die Beschießung von Arbeiterwohnanlagen aus rollenden Waggons von der Schiene her, die Transporte nach dem von der Regierung des Ständestaates errichteten Anhaltelager Wollersdorf, bis zu den Überfällen von nationalsozialistischen Putschisten auf österreichische Eisenbahnen sowie die Trans­porte von Missliebigen und Gegnern des NS-Regimes in die Konzentrationslager – alles spielte sich vielfach auch auf Bahnhöfen und Zügen ab. Mit dem genialen Bühnenbildner Gerhard Jax hatte ich eine perfekte Dramaturgie entwickelt, wie die einzelnen Schauwaggons jeweils ins Spiel gebracht werden sollten.
    Von meiner Idee blieb leider nichts über als das Bedauern über die angeblich schlechte Finanzlage der Wiener Festwochenorganisation. Die hatte ausgerechnet diesmal, leider fast keine Geldmittel zur Verfügung. Man reduzierte das ursprünglich für unsere Produktion in Aussicht gestellte Budget erst auf ein kaum mehr ernstzunehmendes Sümmchen, um mir dann, ein Monat vor Probenbeginn zu eröffnen, es könne nur eine ganz kleine Unterstützung gewährt werden, es gäbe andere, wichtigere Produktionen. Die mit für Kulturpolitiker typischer Großmäuligkeit zuerst verkündete großzügige Subventionierung war zu einem entwürdigenden Almosen verkommen. Die „wichtigeren Produktionen“: man stellte in ganz Wien lebensgroße Puppen berühmter Wiener aus. Das Theaterbudget ging unmerklich in das der angewandten Künste über.
    Da saß ich nun in meinem Theater: Die Szenen waren ja geschrieben, die Verträge mit den Schauspielern abgeschlossen, ein Großteil der Materialien eingekauft, Arbeits- und Probetermine im Jahresspielplan bereits fixiert, unmöglich konnte ich das Projekt jetzt noch absagen. Ich entschied mich dafür, eine reduzierte Szenenfolge, die mit maximal zwölf Schauspielern realisierbar war, auf die Bühne des Theaters der Komödianten im Künstlerhaus zu bringen. Wählte demnach Szenen aus, in denen zwölf Schauspieler jeweils mehrere Rollen übernehmen mussten. Ließ eine völlig kahle, weiße Bühne mit sechs Auftrittsmöglichkeiten erstellen, der ganzseitige Leinenhintergrund war für Projek­tionen vorgesehen. Vor jeder Szene sollten entsprechende Plakate jener Epoche gezeigt werden. Vorherige Tests hatten nämlich ergeben, dass projiziertes Fotodokumentationsmaterial, das ich zuvor sorgfältig ausgesucht und den verschiedenen Themen zugeordnet hatte, die Szenen glattweg „erschlugen“, abstrakte Plakate hingegen, einen reizvollen Gegensatz zu den überhöht realistisch gespielten Szenen einbrachten.
    Die Kostüme waren historisch völlig genau, nur etwas verdeutlicht angefertigt, das Licht während der ganzen Szenenabfolge sehr hell.
    Die Requisiten waren ausgesuchte Gegenstände jener Zeit. Vor jeder Szene sprach eine Schauspielerin über Tonband kurze Texte, die die Bilder miteinander zu verknüpfen halfen. Viele Szenen wurden mit entsprechender Musik aus jenen Jahren eingeleitet, begleitet oder zum Ausklang gebracht. Auch wurden realistische Geräusche, etwa von Flugzeugen, Motoren, fahrende Züge (wie der in der „Kagran-Szene“), das Stimmengewirr der Abgeordneten im Parlament oder Rathaus, der Kampflärm in der „Hebel-Szene“, der Februarwind in der Szene „Die Letzten“, Orgelmusik bei der Totenrede auf Dollfuß, die Dollfußrede aus dem Radio in der „Petznik-Szene“, Gerichtssaalrufe, Nazilieder etc. eingespielt. Gesprochen wurde „wie ausgeborgt“. Das heißt, die Dialekte wurden als Kunstsprache ausgestellt, ohne sie zu diffamieren, also zitiert. Naturalismus wurde vermieden. Die gestische Spielweise hatte etwas enorm „Fertiges“, beinahe Artistisches an sich. Das Publikum nahm sehr starken Anteil. Es gab oft langen Szenenapplaus und nach Vorstellungen oft angeregte Diskussionen. Den Komödianten wurde bestätigt, das Kunststück –Geschichte auf hohem Unterhaltungsniveau lebendig vermitteln zu können – zustande gebracht zu haben. (Conny Hannes Meyer, Juli 1984)

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    Einleitung zum Leseprogramm: Szenen aus der Ersten Republik

    Das Theater dient ausschließlich der Unterhaltung. ln traditionellen Formen, die es seit der Antike über zweitausend Jahre hinweg entwickelt hat und in immer wieder neuen Spieltechniken bis in unsere Tage.
    In allen vergangenen Epochen hat es nicht nur Konflikte zwischen Menschen und Göttern, Herrschenden und Beherrschten, Armen und Reichen, Männern und Frauen, Kindern und Eltern, Ländern und Ländern, Weißen und Farbigen, Völkern und Völkern, Rassen und Rassen, als auch der Menschen untereinander, ja sogar die Konflikte darzustellen versucht, die im Denken und Fühlen des Einzelnen stattfinden.
    So war das Theater seit jeher auch immer mit Politik befasst. Genauer, mit der Spurensuche gesellschaftlicher Zustände.
    Bei allem Bemühen um möglichste Genauigkeit, ist das Theater keine historische Anstalt. Es ist der Geschichte nur soweit verbunden, als es sie benötigt, eine gute, brauchbare Fabel zu erzählen. Und dies auch nur einzig zum Zweck der Unterhaltung.
    Das Theater kann seinem Publikum notwendig gewordene gesellschaftliche Reformen, oder gar Revolutionen, nicht abnehmen. Aber es kann durch kritische Darstellung realer Missstände dazu beitragen, den Blick auf problematische gesellschaftliche Verhältnisse zu schärfen und Entscheidungshilfe zu deren Veränderung anbieten.
    Dies scheint mir notwendig zu sagen, bevor ich Ihnen einige Szenen aus meinem Schauspiel Karl ist krank zu Gehör bringe.
    Um diese ausgewählten Szenen auch Zuhörern verständlich zu machen, denen die große, nicht immer ruhmvolle Geschichte meines geliebten Österreich wenig oder gar nicht bekannt ist, erlaube ich mir, zum besseren Verständnis des theatralischen Geschehens, noch einige Worte zu jener denkwürdigen Epoche hinzuzufügen, welche Historiker als die „Erste Österreichische Republik“  bezeichnen.
    1918, als das abgekämpfte, todkranke Österreich nach über sechshundert Jahren Habsburger Monarchie, noch betäubt von der Katastrophe des verlorenen Weltkriegs auf die europäische Landkarte sah, fand es sich, der einstige riesige Vielvölkerstaat nur noch als ein kleines, kaum lebensfähiges Land wieder.
    Es war umgeben von Ländern, deren nationale Selbständigkeit es nicht geachtet, ignoriert und mittels eines mächtigen Militärapparats unterdrückt hatte.
    Und diese Völker wünschten nun die restlose Zerstörung der Monarchie, oder was von ihr noch übrig geblieben war. Eine demokratische Republik wurde ausgerufen. Aber Demokratie musste erst gelernt werden. Ein langwieriger Prozess. 1919 wusste man in Österreich noch nicht, wie ein demokratisches System überhaupt funktioniert. Ein Großteil der jetzt mehrheitlich deutschsprachigen Bevölkerung glaubte nicht an die Lebensfähigkeit des kleineinen Alpenlandes. Sie wollten den Anschluss an den nördlichen Nachbarstaat, glaubten sich in einem Großdeutschland besser aufgehoben.
    Dieses aber ließen die Alliierten, England, Frankreich, Italien und andere, die im vergangenen Krieg Menschen im Kampf gegen Österreich und Deutschland verloren hatten, nicht zu. Österreich musste mit seinen ungeheuren Problemen – der Liquidierung des monarchistischen Erbes, dem Aufbau einer tragfähigen Wirtschaft, und vor allem mit der Zahlung gigantischer Kriegsschulden und Reparationsleistungen in Milliardenhöhe allein fertig werden. Ein ungeliebter Kleinstaat also, mit den Problemen einer einstigen Weltmacht. – Von diesen Problemen handelt mein Theaterstück. (Conny Hannes Meyer)

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